Es war zwischen 5 und 6 Uhr morgens und ich schlief in dieser heißen Sommernacht, als in dem großen Mietgebäude vier mal ein lauter Hilfeschrei zu hören waren gefolgt von einem lauten, massiven Klirren, das mich aus dem Schlaf riss. Meiner Einschätzung nach entweder das Klirren eines Stapels mit mindestens 10 Speisetellern oder das Einschlagen einer (Gebäude-)Fensterscheibe. Dann Ruhe. Der Schreck saß in allen Gliedern. Man konnte nicht genau zuordnen, ob die Schreie und das Klirren von drinnen oder draußen kamen. Es schien aber relativ nah zu sein.
Innerhalb der folgenden Minute wieder ein ebenso lautes, massives Klirren. Dann Ruhe. Alleine in dem Haus, in dem ich schlief waren mindestens zehn Parteien, die das Schreien, mindestens aber das Klirren ebenfalls gehört haben. Aber im ganzen Haus blieb es still. Wahrscheinlich Schockstarre, weil keiner wusste, was passiert war und ob man sich in Gefahr befindet. Dann hörte man jemanden vor dem Gebäude langgehen.
Innerhalb der nächsten 5 Minuten wieder ein Klirren, diesmal deutlich leiser. Und wieder Stille.
Im Zimmer liegt Parkettboden, der jeden Schritt mit einem deutlichen Knarzen quittiert. Die Balkontüre ist geöffnet. Liegenbleiben und warten? Gehen und riskieren gehört zu werden? Innerhalb von geschätzt zehn Minuten nach dem ersten Klirren bin ich im Kopf alle Optionen und aus Filmen bekannte Schreckensszenarien durchgegangen und wieder einigermaßen klar im Kopf. Es ist noch immer ruhig.
Ich stehe auf, verlasse das Zimmer mit der geöffneten Balkontüre. Der Boden knarzt. Ich habe mittlerweile mein Handy eingeschaltet und bin in einem Zimmer ohne nach außen offenes Fenster. Ich wähle die Nummer der Polizei. Ich schildere, was geschehen ist. Ich merke, dass meine Stimme leicht zittert. Noch bevor ich das dritte Klirren erwähnt habe unterbricht mich der Polizist.
Bis jetzt hat sich noch niemand sonst gemeldet. Eine Streife ist in der Nähe.
Das Gespräch ist beendet, ich gehe wieder ins Bett. Minuten später hört man abermals draußen jemanden gehen. Wenig später sieht man den Schein einer Taschenlampe und hört abermals eine Person. Ich erinnere mich, wie leicht man hier am Gebäude die Fassade raufklettern und die Balkone erreichen kann (Mainachterfahrungen). Ich entscheide mich, nachzusehen. Ich gehe auf den Balkon; ausgerüstet mit einer Blumenvase für langstielige Schnittblumen, die ich als zur Selbstverteidigung geeignet erkoren habe, aber in Wahrheit nur zu meiner psychologischen Beruhigung mitnehme.
Es ist dämmrig. Man kann weit sehen und ausreichend deutlich. Und ich sehe: niemanden. Ich schaue sehr genau. Der Wind hatte in einer der vorhergegangenen Nächte Bäume gegen das Haus geworfen, die jetzt hinter dem Haus lagen. Sie sorgten einerseits dafür, dass man deutlich hören konnte, dass es eine einzelne Person war, die dort gegangen war (oder mehrere mit deutlichem zeitlichen Abstand), andererseits dafür, dass man sich gut hätte verstecken können.
Ich blieb eine Weile, das Umfeld prüfend, auf dem Balkon, fand aber nichts Ungewöhnliches. Ich ging wieder ins Bett. In der verbleibenden Nacht wurde jedes Geräusch zum Schlafräuber.
Um 9 Uhr am morgen hörte man etwas, nachdem die ganze Nacht nichts besonderes zu hören war, das sich anhörte als trete jemand in Scherben. Ich ging sofort auf den Balkon. Die folgenden zwei Handlungsstränge liefen gleichzeitig ab:
1.
Eine männliche Person Anfang bis Mitte 20 sprinntet hinterm Haus entlang, springt über die im Weg liegenden Bäume und verschwindet in Richtung Park.
2.
Eine weitere männliche, für mich nicht sichtbare, Person telefoniert lautstark:
Schnell, der hat die ganze Wohnung verwüstet. [Adresse]. Hier liegt [ist] überall [??]. Der läuft gerade Richtung Park.
Fazit:
Ein Einbrecher, der in der Nacht einbricht, die Wohnung verwüstet und wartet, bis ein Bewohner zurückkommt? Wohl kaum. Die Story hinterm Ereignis bleibt im Dunkeln.
Wer hat vorher “Hilfe” gerufen?
Scheinbar hat tatsächlich niemand außer mir die Polizei verständigt (bei mindestens 10 Parteien, die das hören konnten).
Zivilcourage scheint eine Utopie zu sein. Aber das wussten wir ja schon…
Nachtrag:
Es war wahrscheinlich die Zerstörung der Scheibe, die man in der Nacht gehört hat. Zumindest ist die tatsächlich kaputt.
Bei der Polizei habe ich mich zwischenzeitlich als Zeuge zur Verfügung gestellt. Ich schätze zwar, die brauchen keinen, aber falls doch…
Mir wurde die Story am Abend vor deinem Blogeintrag von einem anderen Bewohner des Gebäudekomplex erzählt, er ging jedoch nicht von einem Einbruch sondern von einem “Beziehungsstreit” aus.
Ja, Beziehungsstreit ist eine Option, die ich auch in Betracht gezogen habe, weil aus vermutlich dieser Wohnung schon des öfteren extrem laute Streitigkeiten zwischen einem Mann und einer Frau zu hören waren, deren Wortlaute diesen Blog zu einem Blog ab 18 machen würden.
15 Minuten um zu überlegen, ob man die Polizei rufen soll, wenn jemand um Hilfe schreit, ist aber auch noch optimierbar.
Die Story macht mir Angst. Ich habe eigentlich immer gedacht, dass wenn ich laut um Hilfe rufe, diese auch bekomme. Der Trick mit dem “Feuer”-Rufen wäre in der Situation vermutlich wirklich der Bringer gewesen.
Man weiß natürlich nie, wie man in solchen Situationen reagiert, aber wenn eine fremde Scheibe zerbrochen worden ist und jemand um Hilfe ruft, müsste man sich dann nicht in seiner Wohnung relatif sicher fühlen?
Und was hat die Polizei gemacht? War die nicht da? Nehmen die nicht nochmal Konatkt zum Anrufer auf, insbesondere wenn sie nichts finden?
Ja.
Zeit zum aufwachen!
Man wusste nicht, von wo das Geräusch kam und wie nah “die Gefahr” ist. Die Balkontüre war offen, der Balkon von außen leicht zu erreichen, der Parkettboden in der Wohnung quittiert jeden Schritt mit einem lauten Geräusch. Vom Hausflur aus kann man in die Wohnungen hören, ebenso von den Nachbarwohnungen. Licht würde man von draußen sehen und durch den Türspion.
Nein, man fühlte sich akut bedroht und in keinster Weise sicher.
Vermutlich gewartet, ob sich noch jemand meldet.
Vermutlich nicht. Sonst hätte sie die eingeschlagene Fensterscheibe bemerken müssen.
Scheinbar nicht.
Ich selber bin ebenfalls schockiert über die offensichtliche Tatenlosigkeit ALLER Bewohner. Ich hätte niemals damit gerechnet der erste, geschweige denn der einzige Anrufer zu sein.
Naja, ich habe schon öfters mitbekommen, dass Passanten geholfen haben, wenn es auf der Straße eine Auseinandersetzung gegeben hat. Ich glaube also mal weiterhin daran, dann fühle ich mich sicherer, wenn ich nachts durch die Straßen gehe.
Das mit der Polizei finde ich schon sehr seltsam. Die warten ja nicht darauf, dass erst mal 3 Leute anrufen bevor sie losfahren. War der mit der Taschenlampe vielleicht ein Polizist? Es ist halt für die auch schwierig, den Anrufer im Gebäude ausfindig zu machen. Obwohl eine zerschlagene Fensterscheibe ja schon recht auffäälig sein sollte.
Naja, ich auch
Ich behaupte und glaube auch nicht, dass “nie” jemand hilft. Das Verhalten in ähnlichen Situationen ist übrigens im Kontext des “Bystander Effekts” recht gut untersucht und das mit fast durchweg erschreckenden Ergebnissen.
Das war auch mein Gedanke. Nach mittlerweile drei Telefonaten mit den Ordnungshütern gehe ich aber ganz stark davon aus, dass niemand von denen da war. Zumindest nicht HINTER dem Haus. Bei der Polizei wurde der Vorfall, wenn überhaupt, erst über 24 Stunden später gemeldet. Einen Zusammenhang zwischen meinem Anruf und der späteren Meldung haben die bis jetzt noch nicht hergestellt.